Pikenierharnisch, Deutschland, um 1600
Höhe: 95 cm.
Höhe auf Stand: 175 cm.
Gewicht: ca. 8710 g.
verkauft
Die vorliegende Rüstung ist durch getriebene blank polierte Bänder dekoriert, die einen Kontrast zur geschwärzten Oberfläche bilden. Sie umfasst eine
Sturmhaube mit zwei an Scharnieren befestigten Wangenklappen und eine Kragenplatte aus zwei Hälften, die drehbar an einer Seite vernietet sind und an der
gegenüberliegenden durch eine gleitende Niete verschlossen werden können. Es sind zwei Armzeuge aus je sechs Platten vorhanden, ein Bruststück, eine
Rückenplatte und zwei Tassetten aus je sechs miteinander vernieteten Teilen. Auf der Innenseite des Brustpanzers ist die Inventarnummer 41 in weißer Farbe
zu erkennen sowie X4, das ebenso auf die Tassetten und die Innenseite der Kragenplatte geschrieben wurde.
Hintergrund
Rüstungen wie dieses Exemplar sind typisch für die Schutzwaffen der Pikeniere auf den Europäischen Schlachtfeldern des frühen 17. Jahrhunderts. Indem sie
große, dichte, rechteckige Formationen bildeten, die an den Rändern durch Musketiereinheiten verstärkt wurden, konnten Pikeniere eine für die Kavallerie
undurchdringliche Mauer von großer militärischer Schlagkraft erzeugen. Eine interessante historische Quelle die den Gebrauch der Ausrüstung illustriert ist
das berühmte Werk von Jacob de Gheyn aus dem Jahre 1607: Waffenhandlung von den Röhren, Musquetten und Spiessen. Dieses Drillbuch diente zur Ausbildung der
Söldner und verbreitete sich rasch über ganz Europa, so dass der Einfluss auf die militärischen Strategien der Zeit immens war.
Halbharnische für den militärischen Gebrauch haben sich in Zeughäusern wie beispielsweise dem in Graz, in Solothurn oder der städtischen Rüstkammer Emden
in Norddeutschland erhalten. Im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts haben einige dieser Institutionen Teile ihrer Sammlung veräußert, da sich bereits
ein Interesse an antiken Waffen unter Kunstsammlern entwickelt hatte und die mit dem Verkauf erlösten Mittel für die Umwandlung der Zeughäuser in Museen
bzw. deren Betrieb benötigt wurden. Auch der vorliegende Pikenierharnisch ist sehr wahrscheinlich auf einen solchen Zeughausbestand zurückzuführen, wo er
die Jahrhunderte überstehen konnte, bevor das Stück in Privatbesitz gelangte.[...]
Zustand
Es sind zwei eiserne Flicken auf dem rechten Armstück vorhanden, ein weiterer auf dem linken und einer an der linken Tassette, alle von der Schauseite nur
schwer erkennbar. Die Rückenplatte ist möglicherweise später hinzugekommen und die Belederung professionell ergänzt. In Einklang mit dem hohen Alter weist
die Oberfläche Spuren des Gebrauchs und eine Eisenpatina auf. Sie steht damit in einem wohltuenden Gegensatz zu einigen traurigen Beispielen
„totrestaurierter“ Harnische.