Ein Rapier der Churfürstlichen Guardie, Dresden um 1600
Länge: 113 cm.
Gewicht: ca. 1250 g.
Gratklinge: Abgeflacht, linsenförmiger Querschnitt, Hohlschliff, eingeschlagene Marken Halbmond und bekrönte Schlange, Inschrift IHS, Verzierungen.
Gefäß: Eisen, geätzt und gebläut, Gehilze mit ledernem Bezug und Kupferdraht, signiert SA (Anton Schuch), quartseitig auf Mittelschild gravierte Waffennr. 24.
Hintergrund
Die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts war von konfessionellen Spannungen im Zuge der Reformation geprägt. Im Rahmen der Politik der Dresdener
Kurfürsten wurde es zunehmend wichtiger, eine persönliche Leibgarde aufzustellen, deren Stärke ca. 100 Trabanten umfasste. Aufgabe der Angehörigen dieser
auch als „Leib-Guardie am Hofe“ bezeichneten Bediensteten war der persönliche Schutz des Herrschers und die Bewachung der Residenz. Die Trabanten
übernahmen aber auch andere Dienste am Hof, bei der Jagd und fungierten nicht zuletzt auch als Repräsentanten der Macht, die in ihrer sehr prunkvollen
Bekleidung und Bewaffnung den Status und Reichtum des Dresdener Kurfürsten auf Reisen, bei Reichstagen und Fürstentreffen symbolisieren und zur Schau
stellen sollten. Die Gardisten dieser elitären Vereinigung wurden von der sächsischen, meißnischen und thüringischen Ritterschaft und Mitgliedern höherer
sächsischer und ausländischer Adelsfamilien gestellt.
Als wichtiger Teil der Bewaffnung der Trabanten des Kurfürsten Christian II., stellt das vorliegende Rapier ein Objekt von herausragender Bedeutung für
die Geschichte der höfischen Kultur um 1600 im Allgemeinen und des Dresdener Hofes im Besonderen dar.
Beschreibung
Die Form des Gefäßes repräsentiert den modischen Geschmack der Übergangszeit von der Renaissance zum Barock und ist unter funktionalen Gesichtspunkten auf
die im späten sechzehnten Jahrhundert übliche Fechtkunst zugeschnitten. Charakteristisch für diese Phase des Übergangs ist die verlängerte, hoch
aufschwingende Parierstange. Terzseitig wird die Hand des Trabanten durch einen oberen und unteren Parierbügel geschützt, die mittig elegant eingezogen
sind und zur weiteren...
Zierde in den so entstehenden Vertiefungen eine kunstvoll in den Stahl geschnittene, profilierte Verdickung aufweisen. Die damalige
Fechtkunst erforderte es, die Klinge mit Daumen und Zeigefinger an der sog. Fehlschärfe (Italienisch: Ricasso) zu umfassen. Um die Finger vor Treffern zu
schützen wurden zwei Fingerbügel ausgeschmiedet, die vom Ansatz des oberen Parierbügels an der Parierstange in Richtung Ort geführt werden, um sich an der
Basis des unteren Parierbügels mit diesem zu vereinigen. An dieser Stelle wurde eine quaderförmige Verdickung herausgearbeitet die stirnseitig abermals mit
einer flächig rautenförmigen Erhöhung versehen wurde, auf der die Marke SA zu erkennen ist. Es handelt sich um die Marke Anton Schuchs, der 1577 in München
Schwertschmiedemeister wird und bis 1587 in den dortigen Hofzahlamtsrechnungen erwähnt ist.(1) Ab 1590 kann seine Anstellung am Dresdener Hof nachgewiesen
werden, wo er bis 1607 tätig ist.(2)
Auf der Seite der Innenhand (Quart) war ein Schutz ebenso erforderlich. Zu diesem Zweck weist das Gefäß drei typische Quartspangen auf, die elegant einem
gemeinsamen Ansatz am Mittelschild entspringen und weit ausladend über die zu schützende Partie ausschwingen, um schließlich am Endpunkt des unteren
Parierrings bzw. der Fingerbügel mit diesen zu verschmelzen. Der Mittelschild weist die Gravur „24“ auf. Es handelt sich hier um eine Waffennummer, die das
Stück als Eigentum eines bestimmten Mitglieds der Trabanten ausweist. Diese Praxis ist darauf zurückzuführen, dass die Rapiere individuell der Körpergröße
des späteren Trägers angepasst wurden, um eine optimale Ergonomie der Waffe sicherzustellen.
Oberhalb des Mittelstückes schließt sich das eindrucksvolle Griffstück an, dessen Oberfläche in rautenförmigen Verdickungen geschnitzt und mit einer
Belederung überzogen wurde. In den Vertiefungen der Rauten verläuft ein feiner tordierter Messingdraht, um einen optischen Kontrast zum dunklen
Erscheinungsbild des Leders zu bewirken. Oberes und unteres Ende des Gehilzes sind mit kunstvollen Türkenbünden versehen. Den Abschluß des Gefäßes bildet
ein pflaumenförmiger Knauf, an dessen Ende das sog. Vernietknäufchen zu sehen ist, das bis heute das Gefäß fest mit der hochwertigen Klinge verschließt und
seit der Herstellung dieses herausragenden Rapiers nie geöffnet worden ist[...]
Die Klinge ist kein Werk Anton Schuchs, sondern stammt aus Solingen und wurde wohl auf der Leipziger Messe
durch den Dresdener Hof angekauft. Es war schon
seit dem Mittelalter gängige Praxis, Klingen über große Distanzen europaweit zu handeln, und diese dann lokal und in individuellem Auftrag mit einem Gefäß
zu versehen, das den regionalen Vorstellungen der Mode entsprach. Der Grund ist in den hohen technologischen Anforderungen der Klingenproduktion zu suchen,
die verschiedene Gewerke einbezog und auf die Verfügbarkeit spezifischer Ressourcen angewiesen war. Im Laufe der Zeit entwickelten sich daher spezialisierte
Zentren der Klingenmanufaktur wie Toledo, Mailand und Solingen, die untereinander im Wettbewerb standen.
In der Zeit um 1600 waren Toledoer und Mailänder Klingen führend und mit einem entsprechend hohen Ansehen behaftet. Es handelte sich um regelrechte
Markenprodukte nach modernem Verständnis, die unter den Angehörigen der führenden gesellschaftlichen Schicht sehr begehrt waren. Denn das Rapier war nicht
nur eine militärische Gebrauchswaffe, sondern diente vielmehr als modisches Accessoire des Herren und war fester Bestandteil der Bekleidung - ein Luxusgut
also, das den Status des Trägers symbolisieren sollte. So wie man sich heute eine prätentiöse Armbanduhr leistet, war es üblich, ein möglichst prunkvolles
Rapier in Auftrag zu geben und mit einer entsprechenden Klinge montieren zu lassen. Solingen war zum damaligen Zeitpunkt ein aufstrebendes Zentrum der
Klingenproduktion und stand in Konkurrenz zu Mailand bzw. Toledo in einem damals schon globalisierten Markt. Es lag aus Sicht der Solinger also nahe, die
Marken dieser Manufakturen auf den eigenen Klingen zu imitieren, um sich deren Qualitätsimage zu Nutze zu machen und so den Absatz zu fördern – auch wenn
die eigenen Klingen schon damals qualitativ ebenbürtig waren.
Im Falle des vorliegenden Stücks verwendete der Schmied gleichzeitig die gekrönte Schlange, eine Mailänder Marke, und den Halbmond, der auf eine Manufaktur
in Toledo verweisen soll. Anhand dieser Kombination kann der Solinger Ursprung vermutet werden.(3)
Zustand
Es kann als ein ausgesprochener Glücksfall bezeichnet werden, dass dieses Trabantenrapier unbeschadet und in einem derart außergewöhnlichen
Erhaltungszustand auf uns gekommen ist. Das Gefäß des Rapiers weist noch die originale Bläuung auf, die bei den meisten erhaltenen Waffen und Rüstungen
durch Putzen und Polieren verloren gegangen ist.[...]
Ebenfalls ist noch das Gehilz mit der ursprünglichen Belederung und Drahtbespannung in den Vertiefungen
der kunstvoll gestalteten rautenförmigen Oberfläche vorhanden. Als Verschleißteil sind derartige Gehilze bei der überwiegenden Zahl der noch existierenden
Rapiere in jüngerer Zeit ersetzt worden. Auch die Klinge ist noch unversehrt und wird durch keinerlei Korrosionsspuren auf der Oberfläche beeinträchtigt,
wie sie sonst bei antiken Blankwaffen der Regelfall sind.
Provenienz
I. Der hervorragende Erhaltungszustand dieses Objektes ist darauf zurückzuführen, dass es sich bis in die frühen Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts im Besitz
der Dresdener Rüstkammer bzw. des Historischen Museums befunden hat. Vor allem 1919 und in den zwanziger Jahren entschied sich die Museumsverwaltung
aufgrund finanzieller Engpässe dazu, einzelne Waffen und Kunstobjekte abzugeben, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Weitere Stücke wurden durch die
Administration der DDR zur Devisenbeschaffung verkauft. Nur so konnten Rapiere aus dieser Gruppe überhaupt in Privatbesitz gelangen.
II. Sammlung Clément Bosson, Onex, Schweiz. Bosson war Kurator für Waffen am Musée d'Art et d'Histoire Geneve.
Vergleichsstücke
Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt.
Philadelphia Museum of Art, Inventar Nr. 1977-167-588.
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Inventarnummer III 754.
Endnoten
1. Vgl. Zeitschrift für Historische Waffenkunde (1909), Band 5, S. 61 f.
2. Vgl. Zeitschrift für Historische Waffenkunde (1899) Band 1, S. 270.
3.Vgl. Müller, H. et al.(1990): Europäische Hieb- und Stichwaffen, S. 377;
Vgl. Schöbel, J. (1973): Prunkwaffen, S. 82 f.
Literatur
Diener-Schönberg (1912): Die Waffen der Wartburg, S. 172, Nr. 873, Abb. Tafel 72.
Ehrenthal, M. (1899): Führer Historisches Museum, S. 81, Nr. 272.
Müller, H. et al.(1990): Europäische Hieb- und Stichwaffen, S. 377, Abb. S. 207.
München (1905): Führer Bayerisches Armeemuseum, Tafel 5.
Schöbel, J. (1973): Prunkwaffen, S. 82, 85, 95.
Seitz, H. (1981): Blankwaffen Band 2, S. 36, Abb. 23.
Staatliche Kunstsammlungen Dresden (2012): Churfürstliche Guardie, S. 126.
Zeitschrift für Historische Waffenkunde (1899) Band 1, S. 270.
Zeitschrift für Historische Waffenkunde (1909) Band 5, S. 61 f.